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Ayrton Senna: Wieso der Mythos ungebrochen bleibt

Von Mathias Brunner
Ayrton Senna und Jo Leberer

Ayrton Senna und Jo Leberer

​30 Jahre nach dem tödlichen Unfall dieses Ausnahme-Rennfahrers ist der Mythos Ayrton Senna ungebrochen, weit über die Grenzen von Brasilien hinaus. Seinen Wegbereiter Jo Leberer wundert das nicht.

Die Formel 1 anno 2024 in einer frühen Phase, das vierte Rennen der Saison fand auf der traditionsreichen Suzuka-Strecke statt. Die japanischen Fans sind ihren Lieblingspiloten treu ergeben, und nichts unterstreicht die Treue der Fans als der Mythos Ayrton Senna.

Wir müssen uns das mal vorstellen: 30 Jahre nach dem Tod des brasilianischen Ausnahme-Racers in Suzuka 1994 – Menschen in Senna-Shirts und Kappen, unzählige Banner und Wimpeln, Besucher mit McLaren-Honda-Modellen, alles so, als stünde Senna noch heute am Start.

In Brasilien und Japan sind die Erinnerungen der Fans am lebendigsten, doch auf unserer Weltreise als Formel-1-Berichterstatter entdecken wir weltweit Fans, welche zeigen wollen – wir haben Ayrton Senna nicht vergessen.

Das ist ein Phänomen, das über die Grenzen des Motorsports hinaus einzigartig ist: An wie vielen Skirennen entdecken wir Hinweise auf die früheren Helden auf zwei Latten? In wie vielen US-Stadien erinnern die Besucher an Helden aus Baseball oder American Football? In wie vielen Fußballarenen tragen die Fans Hemden, die an einen Helden erinnern, der vor mehreren Jahrzehnten gehen musste?

Vor einigen Jahren bat ich den Österreicher Jo Leberer zum Gespräch. Ich wollte von ihm wissen, wieso die Menschen Senna in solch kraftvoller Erinnerung bewahren.

Die Zusammenarbeit zwischen Josef Leberer und dem Brasilianer begann aus Zufall. Der Österreicher blickt so zurück: «Das erste gemeinsame Rennen war 1988 der Brasilien-GP in Rio de Janeiro. Zu meinem Job in der Formel 1 kam ich über Professor Willy Dungl, der in den 1970er Jahren Niki Lauda betreut hatte und das auch fortsetzte, als Lauda seine zweite Formel-1-Karriere bei McLaren begann. McLaren-Teamchef Ron Dennis sprach Dungl an, er wolle einen Betreuer für seine beiden Fahrer, ob er, Dungl, da vielleicht jemanden wüsste. Willy, in dessen Reha-Klinik ich damals tätig war, hat dann mich vorgeschlagen.»

«Im Grunde war es Zufall. Ich war einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Willy sagte mir: ‚Du bist prima geeignet, du hast in Sachen Betreuung alles drauf, du bist kommunikativ, das ist dein Job.’ Und schon saß ich im Flieger Richtung Brasilien!»

Jo Leberer spürte sofort: Ayrton Senna ist kein Rennfahrer wie jeder andere.

«Alle in der Formel 1 arbeiten sehr erfolgsorientiert und zielstrebig, und Senna war das beste Beispiel dafür. Er war extrem fordernd, aber er gab auch enorm viel. Er hatte eine unfassbar tolle Einstellung – willensstark, hingebungsvoll, positiv, kämpferisch, unglaublich diszipliniert, detailtreu, leidenschaftlich, natürlich auch kompromisslos. Was viele jedoch erst im Laufe der Zeit kennenlernten, das war seine extreme Menschlichkeit, eine tiefe Wärme.»

Die Fitness der damaligen Rennfahrer war eher naja.

Jo Leberer bestätigt: «Zu Beginn war Ayrton körperlich nicht der fitteste Fahrer. Alain Prost war besser vorbereitet. Dafür war Ayrton schon damals von der mentalen Seite her der Maßstab.»

«Senna hat dann sehr bald begriffen, dass er eine weitere Stufe erklimmen kann, wenn er mehr an sich arbeitet und hat dies mit der ihm eigenen Konsequenz begonnen. Er wusste, er sitzt in einem Siegerauto, aber er merkte, er muss körperlich stärker werden, und das hat von Jahr zu Jahr umgesetzt, bis er auch in dieser Hinsicht der Beste war.»

Vielleicht haben Senna und Leberer auch so einen guten Draht zueinander gefunden, weil sich nicht nur fast gleich alt waren, sondern auch die gleichen Werte schätzen.

«Ich glaube, er hat an mir geschätzt, dass ich auch, auf meine Weise, versuche, das Beste zu geben. Er war kein Mensch, der schnell jemandem vertraut hat. Aber es dauerte nicht lange, bis wir ein Vertrauensverhältnis hatten. Das ist gerade bei der Arbeit mit einem Fahrer ganz wichtig. Als Mensch hat er sich nach und nach geöffnet, und ich lernte mehr kennen als den Racer Senna.»

«Das macht es für mich auch bis heute so schwierig, wenn ich höre, dass er als rücksichtslos dargestellt wird. So in der Art, dass er quasi durch die Gegner durchfahre, um zum Erfolg zu gelangen.»

«Ich wusste, dass es die andere Seite von Senna gab. Wir er sich schon bald um Kinder in Brasilien zu kümmern begann, seine Unterstützung für Krankenhäuser, seine Arbeit als Menschenfreund. Aber er sagte mir oft: ‚Das will ich alles nicht publik machen. Ich habe noch zu wenig Macht, um wirklich etwas zu bewegen. Aber es ist meine Absicht, die Dinge in Brasilien zum Positiven zu wenden.’ Diese Seite also kannte ich von Senna schon früh, und ich fand sie extrem bewegend.»

«Im Team wurde er vergöttert. Die Mechaniker und Ingenieure spürten und sahen, wie viel er zu geben gewillt war. Das hat alle mitgerissen.»

«Das war schon faszinierend, diese zwei Gesichter, wenn du so willst – auf der einen Seite der zu allem entschlossene Rennfahrer, auf der anderen Seite ein scheuer, fast zurückhaltender Privatmann, dem das Wohl seiner Landsleute über alles ging. Dem Land ging es damals schlecht. Alle zwei Wochen gab ihnen Senna Hoffnung, dass das Leben besser sein kann.»

«All diese Facetten haben mich schon sehr fasziniert. Und ich war nicht der Einzige: Ich habe es oft erlebt, dass ihn Menschen trafen, auch solche, die mit Rennsport überhaupt nichts am Hut haben, und von diesen Augen, von diesem tiefgründigen Wesen, von dieser magnetischen Art in den Bann gezogen wurden.»

«Das ist Charisma, das ist Ausstrahlung – das ist die Grundlage für den heutigen Mythos.»

«Ayrton Senna ist immer präsent geblieben. Die ganzen Jahre ist bei Gesprächen rund um den Globus die Rede immer wieder auf Senna gekommen. Die Erinnerung an Ayrton ist frisch. Bis in die moderne Formel 1 sind an den Rennstrecken Senna-Flaggen oder Spruchbänder und Verkaufsartikel zu sehen. Das ist einmalig.»

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